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ALEXANDER GÖTTMANN ( ГЕТМАН )

Die Freiheit des Lichts in den Skulpturen von Alexander Göttmann

Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr. Wer das Symbol deutet, tut es auf eigene Gefahr. (Oscar Wilde)

Obwohl Alexander Göttmann Bildhauerei, Malerei und Design in Kasachstan studierte, arbeitete er seit 1987 nahezu ausschließlich als Maler, bis er 2006 die Bildhauerei für sich als bestmögliches Ausdrucksmittel entdeckte. Bei Skulpturen, so der Künstler, brauche er sich nicht zu quälen, nicht zu kämpfen, die Form fliege ihm spontan zu. Allerdings entstammen diese Formen den oftmals langwierigen Bildfindungen im Medium der Zeichnung und der Malerei.
Es begann, als Alexander Göttmann 1997 auf der Insel Föhr Möwen zeichnete, die er 2006 in Skulpturen umsetzte. Zunächst überlegte er, welches Material für diese Umsetzung und für ihn persönlich geeignet sei. Für Stein, Bronze etc. würde er eine Werkstatt, die ihm nicht zur Verfügung stand, benötigen. So kam er zum Ton und irgendwann, als er mit seinen Kunstschülern ein Gerüst aus Draht für eine Tonskulptur fertigte, fiel ihm auf, dass dieses Drahtgerüst eine derart starke Ausdruckskraft aufwies, dass der Ton nicht mehr nötig war. Er begann, wie mit einem Bleistift auf Papier, mit Draht in der Luft zu zeichnen, und so erhielt die Linie für ihn - ähnlich wie für einen Zeichner - eine äußerst wichtige Funktion. Die Linie trennt für Alexander Göttmann das Licht vom Dunkel, ist die Grenze zwischen Objekt und Raum, verbindet gleichzeitig das Vergangene mit dem Zukünftigen. Je nach Blickrichtung ändert die Linie ihre Form und damit ihren Charakter. Er liebt, mit verschiedenen Drahtsorten, die eine unterschiedliche Farbe und denen somit eine unterschiedliche Aussagekraft zugrunde liegt, seine Skulpturen aufzubauen.
Wie erwähnt, begann Alexander Göttmann 2006 seine Zeichnungen der Möwen in Drahtskulpturen zu transformieren, aber seine Vögel sind keine Vögel, sondern Menschen, ähnlich den Tieren einer Fabel. Ein Vogel kann seine Stimmung nicht mit den Augen ausdrücken, sondern lediglich mit seiner Haltung. Dies reizte den Künstler, der als Kind Gänse hütete und dabei ihr Verhalten beobachtete, das sie mit Vorliebe durch die Positionierung ihrer Flügel ausdrückten.
Alexander Göttmann möchte in seinen Bildern und Skulpturen Stimmungen und seelische Impressionen wiedergeben, er möchte die Fantasie des Betrachters anregen.
Auf die Idee, Skulpturen zu schaffen, brachte ihn ein Künstlerkollege, ein bekannter Bildhauer, der ihn fragte, ob er die Skizzen zu den Möwen für seine Bildwerke nutzen dürfe. Alexander Göttmann gab ihm die Erlaubnis, überlegte aber auch, ob er dies nicht zugleich selbst umsetzen könne.
Beinahe zu jeder Skulptur gibt es Skizzen. Manchmal liegen etliche Jahre zwischen Skizze und Ausführung, manchmal nur wenige Tage.
Zunächst montierte er auf einem Brett einen starken Draht und entwickelte die Form mit einem dünnen Draht darüber. Er kaufte sich ein Schweißgerät, hatte jedoch keine Erfahrung darin, bis ihm ein professioneller Schweißer erste Hilfestellungen gewährte. Alexander Göttmanns Ausrüstung wuchs, heute verfügt er neben den notwendigen Räumlichkeiten auch über moderne Geräte. Autodidaktisch schulte er seine Technik weiter, bewusst belegte er jedoch keine entsprechenden Kurse. Seine groben Schweißnähte und die dicken Metallklumpen an den Nahtstellen verleihen seinen Wesen eine starke Aussagekraft.
Zu den Menschenvögeln gesellen sich mythologische Wesen und Tänzerinnen. Bei einer Ausstellung eines befreundeten Künstlers spielten drei Gitarristen und gaben drei Ballerinen im seidenen Tütü ihren Tanz zum Besten. Eine dieser jungen Damen hatte eine für Tänzerinnen eher untypische Figur. Sie war groß, hatte kräftige Beine und eine ausladende Oberweite. Alexander Göttmann setzte sich in eine Ecke und zeichnete das ins Auge Stechende, das für ihn Wesentliche: kräftige Beine, Tütü, zwei immense Kugeln.
Heute noch sind viele seiner Tänzerinnen 'kopflos' mit hochgeschlagenem Röckchen, das einerseits eine expressive Bewegung symbolisiert, andererseits aber auch die männliche Blickrichtung.
Die meisten seiner Wesen verfügen über Flügel. Es ist nicht einfach zu entscheiden, ob es Engel, Götter, Mischwesen oder ob es sich um geflügelte, sinnliche Menschen handelt. Der Künstler beschreibt sie selbst als geflügelte Wesen mit weiblichen Zügen, die er als Engel der Liebe bezeichnen würde, die uns beherrschen wie Götter und uns Freude schenken und mit uns leiden.
Alexander Göttmann schafft neue, verwirrende Sehgewohnheiten. Sowohl die inhaltliche wie die formale Ebene fordert einen aktiven Wahrnehmungsprozess.
"Ich male nicht, was ich sehe, sondern, was ich fühle", so der Künstler, der seine Gestalten elegant und sinnlich darstellt.
Seit 2012 nutzt Alexander Göttmann Löffel, Gabeln, Messer und Suppenkellen für seine Bildwerke. Ausgangspunkt war ein Fisch. Er überlegte, wie er die Schuppen gestalten könne, und da hatte er den Einfall, die Schuppen mittels Löffeln zu realisieren. Später entwickelte er die gesamte Figur aus Besteckteilen. Seine Bedarf an Besteck ist immens. Mittlerweile sammeln und schenken ihm viele Freunde aus der ganzen Welt Besteck, und es ist unglaublich, welche Figuren er aus diesen Teilen erschafft.
Diese Plastiken sind der Objektkunst zugehörig, eine typische Gestaltungsweise der Moderne. Statt Alltagsdinge abzubilden, werden industriell gefertigte Dinge als Material für die Kunstwerke genutzt. Es entstehen in der Fläche Collagen, im Raum Montagen.
Die Surrealisten entdeckten das Phänomen, dass die Annäherung von zwei oder  mehreren scheinbar wesensfremden Gegenständen die stärksten Zündungen provoziert, so Max Ernst. Je willkürlicher die Elemente zusammenträfen, um so sicherer geschähe eine Umdeutung der Dinge durch den überspringenden Funken der Poesie.
Der Dadaist Schwitters montierte in seine Arbeiten Fundstücke wie Fahrkarten oder Textilreste, Marcel Duchamp erklärte ein Urinal zum Kunstwerk. Diese Künstler wollten mit ihren Werken provozieren und die traditionelle Kunst in Frage stellen. Nichts liegt Alexander Göttmann ferner. Während Duchamp einen beliebigen Gegenstand aus der Fülle von Gegenständen herausgriff, um diesen an die Stelle des Kunstgegenstandes zu setzen, sucht Alexander Göttmann bewusst das zu seinem Werk passende Objekt.
Die einzelnen Montageelemente geben ihre ursprüngliche Bedeutung auf, machen sie aber nicht vergessen. Löffel, Gabeln, Messer und Suppenkellen - Gerätschaften eines Küchenhaushaltes - , deren ursprüngliche Bedeutungen uns gegenwärtig sind, vermitteln dem Betrachter eine neue Wahrnehmung.

Alexander Göttmanns Skulpturen kreisen um das Existentielle der menschlichen Existenz: um Natur, um Entstehen und Vergehen, um Mythologie und Glaube. Diese menschlichen Seelen in den Skulpturen und Bildern zeugen von Erkenntnis, vermitteln eine Ahnung von innerer Schönheit und fordern vehement Freiheit. Alexander Göttmann ist in seiner Kunst wie ein Sammler: Er sammelt Menschenbilder, er sammelt deren Gefühle und Reflexionen, in denen der Betrachter sich immer wieder selbst findet. Er baut seine Bildwerke auf seiner grundlegenden und tiefen Kenntnis, und auf seinem sensiblen Einfühlungsvermögen in die menschliche Psychologie auf.

Dr. Josef Gülpers, Kunsthistoriker, Aachen
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